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Leute machen Kleider

23. März 2015

Unser Freund Frank Braun war gerade mit der Kampagne für saubere Kleidung bzw. der Christlichen Initiative Romero (CIR) auf einer Delegationsreise in El Salvador. Frank arbeitet seit vielen Jahren in Projekten zum Thema „Green Fashion“ oder „faire Kleidung“ und setzt sich mit den Bedienungen in der Textilindustrie auseinander. Der Gründer von bluepingu e.V., Weltveränderer und Eine-Welt-Promoter Nordbayerns berichtet für uns von seinen Eindrücken aus El Salvador.

Kleider machen Leute

Das ist keine neue Weisheit. Schon 1874 hatte der Schweizer Dichter Gottfried Keller diese Novelle vom Schneidergesellen Wenzel Strapinski geschrieben, der sich trotz Armut gut kleidet und aufgrund seines Äußeren für einen Grafen gehalten wird. Zwar fliegt der Schwindel auf, doch wie so oft in Geschichten heißt es auch hier: Ende gut, alles gut. Kleider machen Leute. Das ging mir oft durch den Sinn, auf meiner Reise nach El Salvador, wo ich mir als Teil einer Delegation ein umfassendes Bild über die Situation der dortigen Textilindustrie machen konnte. Das ganze Jahr arbeite ich an Fragen von Gerechtigkeit und Wandel in der Textilindustrie. Vor Ort in meiner Heimat Franken, geht es oft dabei darum, die Perspektive des Südens in unser Leben zu holen, Verständnis zu schaffen, für die Lebenssituation der Menschen, FAIRbindungen zu schaffen, die aufzuzeigen, was die Ausbeutung in den Sweatshops dieser Welt mit uns und unserem Verhalten zu tun hat. Nun bin ich auf der anderen Seite der Welt angekommen. Hier leben die Verlierer dieses Systems und auch hier gibt es Menschen, die ähnlich wie wir in Deutschland gegen Windmühlen kämpfen, sich aber nicht beugen lassen von der scheinbaren Übermacht dieses Systems aus Korruption, Unterdrückung und Gewalt.
Wir trafen die Arbeitsministerin, GewerkschaftsvertreterInnen, den deutschen Botschafter, Arbeitgebervertreter und natürlich auch die Menschen, die täglich unsere Kleider produzieren. El Salvador ist eines der großen Produzentenländer. Mehr als 70.000 Menschen arbeiten hier in der Textilindustrie. Viele der großen Marken lassen hier produzieren, auch unsere fränkischen Vorzeigeunternehmen adidas und Puma. Wenn man auf deren Webseiten nachliest, dann scheint die Welt in Ordnung. Nachhaltigkeit und damit auch der faire und soziale Umgang mit den MitarbeiterInnen auch in den Zulieferbetrieben sei natürlich selbstverständlich.

Freihandelszonen fördern die Ausbeutung

Die Textilindustrie ist für die Länder Zentralamerikas ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Die Maquilas sind nicht einfach Textilfabriken. Es ist eine Form der Ausbeutung für das die US Regierung gemeinsam mit den Staaten Zentralamerikas in den 90iger Jahren Freihandelszonen geschaffen hat. Unternehmer genießen die Vorteile billiger Arbeitskraft verbunden mit absoluter Steuerfreiheit. In der Folge gingen in den USA hunderttausende Arbeitskräfte verloren und in El Salvador, Guatemala, Costa Rica und Nicaragua wuchsen die Freihandelszonen wie Pilze aus dem Boden. Als Produzentenland nimmt El Salvador mittlerweile Rang elf der größten Importnationen in diesem Sektor für die USA ein. Das System der Freihandelszonen ist ein fester Bestandteil US-Amerikanischer und mittlerweile auch europäischer Textilunternehmen geworden. Auch für die Menschen in Zentralamerika sollte es Wohlstand und Fortschritt bringen.

Zwischen Hoffnung und Resignation

Die Wirklichkeit der Näherinnen dort sieht aber leider oft anders aus, als die des Schneiders in Gottfried Kellers Geschichte. Die Menschen, die unsere Kleider machen, sitzen heute eben nicht mehr um die Ecke, sondern in Fabriken in Billiglohnländern rund um den Globus. Dort sind es vorwiegend Frauen, die in den Textilfabriken arbeiten. Menschen voller Leid(enschaft), Menschen die der Wunsch eint, von ihrer Arbeit würdevoll leben zu können. Ganze 211 US-Dollar verdient eine Näherin in den Textilfabriken in El Salvador, das ist auch in El Salvador für ein würdevolles Leben zu wenig. Der Existenzlohn, englisch „living wage“ liegt für El Salvador, je nach Quelle, zwischen 370$ und 490$. Als Existenzlohn wird ein Einkommen verstanden, das nicht nur das bloße physische Überleben, sondern die Sicherung der Existenz einschließlich sozialer und kultureller Bedürfnisse sicherstellt. Dazu gehören neben Wohnung und Essen Dinge wie Bildung und Gesundheitsversorgung. Alles Dinge, die wohl jeder von uns auch einfordern würde. Im besten Fall decken sich der Mindestlohn und der Existenzlohn, die Realität sieht aber in den meisten Ländern anders aus.

Rund 200$, das ist auch ein durchaus üblicher Preis, den wir für Outdoorjacken bezahlen. Wir treffen Arbeiterinnen die für Outdoorfirmen in einer Textilfabrik in El Salvador fertigen. Wie mögen sich diese wohl fühlen, wenn sie das Preisschild an den von ihnen genähten Outdoorjacken sehen und feststellen, dass eine Jacke annähernd ihren gesamten Monatslohn kosten würde. Denn auch hier wird nur der Mindestlohn gezahlt. Überhaupt scheint mir das Wort Mindestlohn fehl am Platz. Standardlohn trifft es wohl besser. In den zwei Wochen haben wir niemanden getroffen, dessen Gehalt nicht am Mindestlohn orientiert war. Ok, es gibt Leistungszulagen für die Teams, die im Idealfall das Gehalt etwas aufbessern können, aber die Anforderungen, diese zu erreichen sind enorm hoch und erfordern meist viele Überstunden. Wer jetzt aber glaubt, dass wir hier Menschen begegnet sind, die resigniert aus ihrem Alltag berichten, der täuscht sich. Es war gerade die Energie und Lebensfreude, die viele der Frauen trotz der alles andere als optimalen Lebenssituation ausstrahlen, die mich immer wieder beeindruckt hat. Aufgegeben hat hier niemand.

Bedrückende Wirklichkeit

Isabel

Da ist zum Beispiel Isabel, die wir in ihrem Haus besuchen durften. Sie ist 48 Jahre alt und arbeitet seit mehr als zwanzig Jahren in der Textilfabrik. Mit ihren fünf Kindern lebt sie in einer Wellblechhütte am Rande San Salvadors, der Hauptstadt des Landes. Die Hütte ist mit abgehängten Decken unterteilt. Mitten im Raum steht ihre Nähmaschine, denn auch wenn sie abends aus der Fabrik nach Hause kommt näht sie oft noch weiter, für die eigene Familie, Freunde und Bekannte. Der Lohn reicht ihr nicht zum Leben. Das System in den Fabriken ist perfide. Es werden Teams gebildet, die im Wettbewerb zueinander stehen. Die besten bekommen Boni. Der Druck auf die anderen ist enorm, denn hier geht es nicht um Geld fürs Sparkonto sondern ums Überleben! Wer krank wird und einen Tag fehlt, bekommt einen zweiten Tag vom Lohn abgezogen. In einigen Fabriken gibt es keine Pausen, keinen Zugang zu Trinkwasser. Wenn die Auftragslage es erfordert, wird rund um die Uhr gearbeitet. Gewalt am Arbeitsplatz ist in vielen Fabriken Teil des Systems, ebenso wie die Entlassung schwangerer Frauen, sobald dies bekannt wird. Isabel träumt davon, eines Tages selbstständig als Näherin arbeiten zu können. Man sieht ihr die harte Arbeit an, wenn sie aber ins Erzählen kommt, sprühen die Augen vor Lebenslust und sie ist voller Leidenschaft und Hoffnung. Es ist eine bedrückende Wirklichkeit, die uns Isabel und die vielen anderen Frauen schildern, aber eine, der wir uns stellen müssen, denn schließlich hat dies alles auch viel mit uns zu tun. Ich habe auf der Reise viele Geschichten wie die von Isabel gehört. Geschichten von Menschen die sich eigentlich nur wünschen, von Ihrer Arbeit leben zu können und den eigenen Kindern Sicherheit und Bildung schenken zu können. Ist das zu viel verlangt?

Am nächsten Tag treffen wir die Arbeitsministerin, Frau Sandra Edibel Guevara Pérez. Sie ist seit sieben Monaten Ministerin für Arbeit und soziale Fürsorge in der neuen Regierung von El Salvador. Auch sie ist eine Frau, die vor Leidenschaft sprüht. Alleine im vergangenen Jahr gingen mehr als 19.000 Beschwerden zu Arbeitsrechtsverletzungen in den Fabriken ein. Ganze 110 Mitarbeiterinnen hat sie, um diesen Beschwerden nachzugehen, und das ist ja nur ein Teil der Arbeit in der Behörde. Sie kennt die andere Seite, war sie doch einst selbst Aktivistin und spürt nun aber am eigenen Leibe dass selbst ganz oben in der Hierarchie Dinge nicht so einfach zu verändern sind. Teile Ihrer Belegschaft sind korrupt, es fehlt an Arbeitsmitteln und wenn ein Unternehmen keine Inspektion will, dann lässt man die Inspekteure einfach nicht rein. Im schlimmsten Fall werden dann 5000$ Strafe fällig. Das zahlt das Unternehmen im Zweifel gerne mal, um unangenehme Schlagzeilen zu vermeiden. Für die Arbeiterinnen in den Fabriken hat sie eine einfache Botschaft: „Seid stark, unterstützt euch gegenseitig, kämpft gegen Unrecht.“ Sie weiß, dass ihre Arbeit hier nur langsam Besserung bewirken kann.

Unser Gespräch mit dem Unternehmerverband Camtex läuft nicht anders als das zu erwarten war. Camtex ist die Kammer der Textil- und Konfektionsindustrie und der steuerbefreiten Freien Produktionszonen. 108 der über 200 Maquilas sind in diesem Verband Mitglied. Die Mindestlöhne seien in den letzten Jahren signifikant erhöht worden. Weitere Erhöhungen würden der Wettbewerbsfähigkeit schaden, so der Sprecher. Außerdem verdienten ja die Arbeiterinnen ohnehin über Boni mehr. Weitere Erhöhungen würden Arbeitsplätze gefährden. Diese Rhetorik ist uns ja auch von zu Hause vertraut. Ich glaube nicht, dass sich diese Herren je mit Arbeiterinnen getroffen haben, um von deren Alltag zu hören. Diese Herren leben auch nicht vom Mindestlohn und wohnen auch nicht in Wellblechhütten, da lässt es sich leicht reden.

Als Verbraucher Verantwortung übernehmen

Es waren beeindruckende, bedrückende und lehrreiche zwei Wochen hier im Land. Wieder zu Hause wünschte ich mir, dass Reisen wie diese zum Pflichtprogramm eines jeden Jugendlichen würden. Ich denke, wer einmal einer Arbeiterin dort in die Augen gesehen hat und ihre Geschichte hören durfte, der wird beim nächsten Kauf einer Jeans nicht mehr nur an den eigenen Geldbeutel denken. Natürlich bedarf es gesetzlicher Regelungen und Kontrollen, um diese Missstände abzuschaffen. Die Diskussion um die Einführung eines verbindlichen Textilsiegels hat gerade erst wieder gezeigt, wie schwierig das ist. Aber solange diese verbindlichen Regeln nicht gibt, gilt es für uns als Verbraucher auch selbst Verantwortung zu übernehmen und beim Kauf eben nicht nur auf den Preis und den Geschmack zu achten. Auch bei der Kleidung haben wir, wie bei Lebensmitteln, die Wahl. Eine Reihe von Sozial- und Umweltsiegeln helfen uns bei der Orientierung. Auch wenn damit die Welt von Isabel nicht sofort besser wird, ist es doch ein Zeichen der Solidarität und der Hoffnung für sie und all die anderen Millionen Arbeiterinnen in den Textilfabriken weltweit.

Euer Frank Braun

 

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