Wir treffen Maik Pflaum von der Christlichen Initiative Romero (CIR) in Nürnberg zum Interview. Maik ist regelmässig in Mittelamerika unterwegs und kennt die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie seit vielen Jahren. Innerhalb der Kampagne für saubere Kleidung ist er für die Protestaktionen gegen adidas und Puma zuständig und hat durch seine Arbeit leider immer wieder enorme Verstösse gegen Arbeitsrechtsbestimmungen und Menschenrechte aufgedeckt.
glore: Die Christliche Initiative Romero (CIR) ist einer der Trägerorganisationen der Kampagne für saubere Kleidung. Wie sieht euer Einsatz für weltweite Arbeitsrechte konkret aus? Was sind eure Kampagnen?
Maik Pflaum: Wir haben die Kampagne für Saubere Kleidung 1996 in Deutschland gegründet. Unsere Aktivitäten sind vielschichtig. Zum einen sind wir in den Gremien der Clean Clothes Campaign (CCC) aktiv, wie im Geschäftsführenden Ausschuss oder dem Trägerkreis. Wir haben auch viele Jahre lang die deutsche CCC bei den Treffen der europäischen CCC vertreten. Im Rahmen der internationalen CCC sind wir für Mittel- und Lateinamerika zuständig. Da hat die CIR viele Partner wie Frauenorganisationen, Gewerkschaften und Menschenrechtsgruppen. Von diesen erhalten wir Informationen über die Zustände in den Nähfabriken aus erster Hand, die wir dann in die CCC einbringen. Gleichzeitig unterstützen wir die Gruppen. Wir sammeln Spendengelder für sie, womit sie Anwälte bezahlen, wenn zum Beispiel jemand entlassen wird, weil sie oder er sich gewerkschaftlich organisieren wollte oder schwanger wurde. Gleichzeitig stellen wir aber auch Anträge beim Entwicklungsministerium und der EU, um Projektgelder für unser Partner zu beschaffen. So können sie Kampagnen starten, die sich für Gesetze oder striktere Kontrollen von Arbeitsrechten einsetzen.
In Deutschland arbeiten wir auch direkt mit Politikern zusammen. So habe ich immer wieder mit Bundestagsabgeordneten zu tun, die bessere Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie unterstützen.
glore: Du warst selbst sehr aktiv beim Protest gegen adidas. Eine ehemalige Näherin für adidas aus El Salvador hat mit deiner Hilfe auf der Jahreshauptversammlung von adidas gesprochen. Wie war die Resonanz und wie hat adidas darauf reagiert?
Maik Pflaum: Die Resonanz war sehr gut, wir hatten ein tolles Medienecho. Ich bin mir sicher, viele Mittarbeiter von adidas haben das mitbekommen und sind sehr nachdenklich geworden, ob es wirklich so toll ist, für den Drei-Streifen-Konzern tätig zu sein. Das generiert natürlich auch interne Nachfragen.
Die Reaktion von adidas? Wie seit Jahren: Leugnen, raus reden, wenn es sein muss lügen. Aber viele Aktionäre lassen sich nicht mehr so einfach abfertigen. Estela, die Näherin, bekam viel Zuspruch. Und auch die Nürnberger Zeitung kritisierte klar, dass adidas Estelas Fragen nicht beantwortet habe. Da merkt man, dass etwas stinkt beim Hauptsponsor der Fußball WM, der so gerne von Fair Play spricht. Wir haben adidas deswegen mit unserer Kampagne: „Fair Pay – für menschenwürdige Löhn in der Sportbekleidungsproduktion“ konfrontiert.
glore: Wo siehst Du die größten Defizite in der Textilindustrie?
Maik Pflaum: Die Löhne sind Hungerlöhne. Man bräuchte weltweit jeweils drei oder vier der so schön als „Mindestlöhne“ bezeichneten Zahlungen, um den Grundbedarf einer durchschnittlichen Familie abdecken zu können. Die Näherinnen schuften sich kaputt und gehen hungrig zu Bett. Ein Beispiel: Das Trikot der deutschen Fußball-Nationalelf kostet 80€. Davon bekommt die Näherin maximal ein Prozent, also unter einem Euro. Ein weiteres großes Problem sind die unzureichenden Kontrollen. Das sind zumeist reine Werbemaßnahmen. Aber es geht nicht nur darum, die Nähfabrik zu kontrollieren. Ganz wichtig wäre es auch zu prüfen, welche Abnahmepreise adidas, Puma, H&M und Co. zahlen und welche Lieferfristen sie fordern. Das sind häufig die strukturellen Gründe für die Arbeitsrechtsverletzungen in der Fabrik.
glore: Wie ist dein Eindruck der Textilindustrie? Ist die Bereitschaft vorhanden daran wirklich etwas zu ändern?
Maik Pflaum: Ja und nein. Man muss sich die einzelnen Unternehmen genau anschauen. Es gibt schon sehr gute Vorbilder. Aber die Mehrheit ist geldgierig und skrupellos. Da zählt das Wohl der Näherin und ihrer Kinder nichts.
glore: Was hältst Du von der Initiative des Entwicklungsminister Gerd Müller, ein staatliches Textilsiegel einzuführen, das soziale und ökologische Kriterien kontrollieren soll? Die großen deutschen Handelsverbände haben dies ja gerade als nicht umsetzbar bezeichnet. Die Kampagne für saubere Kleidung war selbst mit am Tisch bei den Verhandlungen gesessen. Erzähl doch ein bisschen aus dem Nähkästchen.
Maik Pflaum: Ja, ich selbst war im Steuerungskreis und bin es noch immer. Die Initiative ist positiv. Wir haben uns sehr gefreut, dass Minister Müller von sich aus das Thema aufgegriffen und beherzt verfolgt hat. Wir konnten uns bei vielen Punkten gegen die Industrie durchsetzen. Aber bei einem entscheidendem nicht. Wir fordern seit Jahren eine gesetzliche Regelung. Also verbindliche Regeln für Kleidung, die in die EU eingeführt und hier verkauft wird. Inklusive verlässlicher Kontrollen. Das war beim Textilbündnis nicht durchzusetzen. Die Textilverbände haben aufgeschrien: „Dann gehen wir sofort raus!“. Und was kam dann? Sie haben drei Monate palavert und sind letztendlich nicht beigetreten.
Ich hoffe nun, dass Minister Müller die nötige Konsequenzen zieht und sich für eine gesetzliche und eben nicht länger freiwillige Regelungen einsetzt. Der Großteil der Industrie versteht keine andere Sprache. Da geht es um Gewinnmaximierung auf Kosten von Mensch und Umwelt.
Ein interessanter Nebenaspekt: Jetzt sagt die Industrie, das sei nicht umsetzbar. Seit Jahren haben sie aber in ihrem unternehmenseigenen Verhaltenskodex Mindeststandards festgelegt. Die Kodizes, zusammen mit der Info, dass dies in den Fabriken gelte, sonst lasse man dort gar nicht fertigen, bekommt jeder, der kritisch nachfragt. Und jetzt, wo es kontrolliert werden soll sei das „nicht umsetzbar“.
glore: Wie geht es bei euch weiter? Was sind die nächsten Kampagnen der CIR?
Maik Pflaum: Ein aktueller Fall ist zum Beispiel der des Puma-Zulieferers Florenzi in El Salvador. Als bekannt wurde, wie ungeheuerlich dort die Zustände sind, hat Puma die Produktion dort gestoppt. Und riskiert die Arbeitslosigkeit der Näherinnen, anstatt sich der Verantwortung zu stellen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Gleichzeitig poliert der Sportartikelhersteller das soziale Image mit ein paar hundert fair gehandelten Fußbällen auf. Deswegen suchen wir Unterstützer für unsere Protestmails an Puma.
Wir bleiben aber an vielen Themen dran. Meine Kollegin Johanna ist sehr aktiv in Bezug „öffentliche Beschaffung“. Wenn die Kommune, die Stadt oder der Staat fürs Krankenhaus, die Polizei oder die Stadtgärtner einkauft, sollen Arbeits- und Umweltstandards beachtet werden. Das ist ein riesiger Hebel. Nur ein Beispiel: Die Stadt Hamburg gibt jährlich vier Millionen Euro für Textilien aus. Einige Kommunen, wie die Stadt Dortmund, kooperieren bereits mit uns und haben ihre Ausschreibungen umgestrickt.
glore: Vielen Dank für dieses Interview Maik!
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